Wolfgang Stock
Autoren-Brief
Ein launiger Blick hinter die Kulissen. Von Wolfgang Stock, Ex-Cheflektor ECON-Verlag und BuchMarkt-Kolumnist. Foto: Daniel Biskup.

Einen Bestseller schreiben. Das Ziel eines jeden ambitionierten Autors. Die vordersten Plätze auf der SPIEGEL-Liste, in allen Feuilletons präsent, Einladungen ins Fernsehen, Talkshows, Lesungen auf großer Bühne, Radio, Interviews. Die Auflage sechsstellig. Und auch der Bankdirektor grüßt freundlich.

Ein Traum. Ein schöner Traum. Dabei gibt es Bücher, die viel erfolgreicher sind als Bestseller. Sowohl für ihre Autoren als auch für die Verlage. Eine Quizfrage: Kennen Sie das Buch, von dem in Deutschland im nächsten Frühjahr die 269. Auflage erscheinen wird?

Wahrscheinlich nicht. Es gibt tatsächlich solche Megaseller, die wenige im klassischen Publikum auf dem Schirm haben. Verlegerisch kann man sie besonders in zwei Kategorien finden. Bei den Longsellern und bei den Steadysellern. Es lohnt, sich mit dem Profil dieser Erfolgsarten ein wenig auseinanderzusetzen. Zunächst, wo liegen die Unterschiede?

Der Bestseller. Kennt jedes Kind. In den Hitlisten landet er ganz oben. Das Buch wird überall besprochen und sein Urheber auf allen Kanälen gefeiert. Die Autorin oder der Autor sonnen sich im Erfolg. Doch Obacht: Ein Bestseller ist wie eine Sternschnuppe. Leuchtet hell, fällt schnell wieder ab.

Der Longseller. Dies ist ein Buch, das sich auf eine sehr lange Zeitstrecke für eine breite Leserschaft sehr gut verkauft. Ein Höhenflieger, und das sogar über einen Zeitraum von Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten. Die Bibel ist so ein Beispiel. Oder der Duden. Ein endloser Dauerbrenner, so würde der Volksmund sagen. Longseller kommen oft bei Nachschlagewerken, Kinderbüchern und Schulliteratur vor. Auch zeitlose Belletristik gehört dazu. Von Goethes Faust über Der kleine Prinz bis zu Harry Potter. Eine Cash Cow, analysieren die BWLer und zeigen auf die Portfolio-Grafik. Nichts ändern, nur melken. 

Der Steadyseller. Auch ein Steadyseller verkauft über einen langen Zeitraum, aber mit weniger Volumen und über eine kürzere Strecke als ein Longseller. Also grob: mittlere Auflage über eine mittlere Zeitstrecke. Viele Standardwerke für klar definierte Zielgruppen finden sich darunter. Häufig als Markenname mit hohem Aktualisierungsbedarf. Beispielsweise die Muss-Fachbücher aus dem Studium für Medizin, BWL oder VWL. Der Pschyrembel, ein Wöhe oder der Mankiw. Das sagt den Fachleuten alles, das normale Publikum versteht nur Bahnhof. Der Pschyrembel, über 260 Auflagen, der Wahnsinn!

Kommen wir zurück zum angehimmelten Bestseller. Das Problem der Sternschnuppe mit Namen Bestseller ist ihr schnelles Verglühen. Es sei denn, das Werk schafft den Sprung zum Longseller. Doch da bewegen wir uns in Sphären einer Joanne K. Rowling, also schwierig bis oberschwierig. Das schafft einer oder eine alle 50 Jahre. Nüchtern betrachtet bleibt ein normaler Bestseller, so schön alles auch sein mag, eine hübsche Eintagsfliege.

Einen Bestseller nach dem anderen zu produzieren, das gelingt nur ganz, ganz wenigen Auserwählten. Ein typischer Bestseller im Hardcover verkauft vielleicht 100.000 Exemplare in den ersten vier Monaten, danach bricht der Absatz ein. Ein Steadyseller hingegen verbucht dauerhaft 40.000 Exemplare jedes Jahr, viele über Jahrzehnte, man kann den Zollstock anlegen. Wir brauchen kein Mathe-Abi, um auszurechnen, ob ein Bestseller oder ein Steadyseller rentabler ist.

Für Verlagshäuser und für Autoren ist das Jagen nach Bestsellern erdrückend. Die Verlage veranstalten jedes Halbjahr aufs Neue untereinander ein Windhund-Rennen. Gesund ist das nicht und sinnvoll ebenso wenig. Mal hat man Glück, meist hat man Pech. Oder wie ein Kollege spöttisch meinte: Wenn’s klappt, war’s Strategie. Auf dem Reißbrett kann man den Erfolg eines Buches jedenfalls nicht planen.

Verlage mit Longsellern und Steadysellern im Programm können die Schwankungen und Zufälle der Zeit hingegen entspannt betrachten. Wenn sie denn klug diversifizieren und auf die veränderte Medienrezeption eingehen. Diese Verlage sind oft Marktführer in ihrem Segment, sogenannte Hidden Champions. Sie stehen nicht groß in der Öffentlichkeit, aber jeder aus der Zielgruppe kennt die Bücher des Verlages und schwärmt.

Auch für Autoren sind Longseller und Steadyseller ein Geschenk des Himmels. Ein Steadyseller ist die Rentenversicherung für seinen Autor. Was ein Bestseller nicht ist. Beim Bestseller kriegt man einen schönen Scheck, freut sich ganz dolle, im nächsten Jahr dann gähnende Leere auf dem Konto. Eigentlich sind – bei kühlem Kopf betrachtet – Bestseller aus Autorensicht nicht das Maß aller Dinge. Die wirklich nachhaltigen Erfolge jedenfalls finden Sie nicht auf der SPIEGEL-Liste.

Für einen Autor, der mit dem Schreiben seinen Lebensunterhalt bestreiten muss, wäre es möglicherweise eine Option, sich aneinen (potentiellen) Steadyseller heranzuwagen. Vor allem wenn man sich mit Sachbüchern und Ratgebern anfreunden kann. Leichter gesagt als getan. Für einen Steadyseller braucht man nachgewiesene Kompetenz. Aber viele haben diese ja, ohne recht darüber Klarheit zu besitzen. Besondere Fähigkeiten aus der Ausbildung, aus dem Berufsleben oder Kenntnisse aus dem Hobby.

Klar, in die Liga Pschyrembel wird man nicht aufsteigen können. Aber durch die Segmentierung und Spezialisierung der Lebens- und Berufswelt haben sich auch die Themen gespalten und zergliedert. Mir fallen Dutzende von Themenfeldern ein, die für einen lebensnahen bescheidenen Steadyseller geeignet sein könnten, ohne dass es irgendwelcher akademischer Weihen bedarf. Von Hundetraining über den Ernährungs-Ratgeber bis zur Dorfchronik. 

Hundetraining, da werden manche aufstöhnen. Zu dem Thema, so der Einwand, gibt es schon so viele Bücher. Dies ist ein Argument von verlegerischen Amateuren. Ein Verlagsprofi sieht den Boom eines Segmentes als ermutigendes Zeichen, das Thema funktioniert. Insoweit besteht die Herausforderung für einen Autor nun darin, mit einem besseren und zielgenauerem Werk in diese Nische zu stossen. So zumindest wäre meine Herangehensweise, wenn ich mit Büchern Geld verdienen müsste.

Doch manchmal erkennt ein Autor sein eigentliches Profil nicht, weil er irgendwelchen Hirngespinsten vom Bestseller nachhängt und sich zu wenig Gedanken über seine Alleinstellung gemacht hat. Finanziell und vom Renommee wäre es beispielsweise für einen Fahrlehrer womöglich vernünftiger, ein gutes und einfaches Handbuch für ausländische Prüflinge zu schreiben, als sich, wie Tausende andere, über Dark Fantasy auszulassen. 

Wäre vernünftig. Anderseits wäre es hochgradig langweilig, alles immer nur unter Vernunftsaspekten zu tun. Mir ist es sowieso sympathischer, wenn jemand auf sein Herz hört. Wie auch immer. Ob Sie unvernünftigerweise an einem Bestseller basteln oder über einen potentiellen Steadyseller nachdenken, ich wünsche Ihnen für beide Vorhaben Erfolg. Was ich Ihnen nicht wünsche: einen Worstseller. Einen Rohrkrepierer. Da verkaufen Sie nix. Das ist dann wirklich unvernünftig.

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