Autoren-Brief
Biografie
Die launige Meinungs-Kolumne.
Gerne subjektiv. Nicht die Wirklichkeit. Meine Wirklichkeit. Von Wolfgang Stock, Ex-Cheflektor ECON Verlag.
Foto: Daniel Biskup.

Ich möchte meine Biografie schreiben,  verrät ein Forist, mein Leben hat etwas Bombastisches. An vielen Ecken der Facebook-Foren trifft man auf diesen tiefen Literaten-Wunsch: Ich möchte meine Biografie verfassen. Für meine Kinder, für die Enkel, für die Ewigkeit. Man versteht das Verlangen. Wer schreibt, der bleibt

Und als Begründung heißt es oft: Mein Leben ist außergewöhnlich verlaufen. Oder: Ich habe etwas ganz Besonderes geschafft. Man möchte es glauben, denn jedes Leben stellt etwas Einzigartiges dar. Sich aus schwierigen Verhältnissen hochgearbeitet, eine schlimme Krankheit bekämpft, ein Sehnsuchtsziel gefunden. Alles ehrenwert. Nur gibt es bei den Biografien von Otto Normalbürger ein Problem: Niemand will sie lesen.

Warum? Weil man nichts Unbekanntes von Unbekannten erfahren will. Bei MüllerMeierSchulze fehlt einfach der niedere Instinkt zum Schlüsselloch. Die erfolgreiche Formel hingegen: Unbekanntes von bekannten Gesichtern. Das funktioniert. Nicht immer, aber ziemlich oft. Prinz Harry packt aus. Gottschalk erzählt von seiner neuen Liebe, Elon Musk brüstet sich als Visionär. Stars und Sternchen. Wer sich eh schon in den Medien tummelt, zieht noch mehr Neugierde an.

Biografien, die sich verkaufen, schauen nicht rein in den Menschen, sondern hinaus in den Trubel. So etwas verkauft sich. Wie bei Harry. Alle frohlocken: der Handel über volle Läden, der Verlag über einen Megaseller und der Autor über die Honorar-Millionen. Für 26 Euro bietet Prinz Harry ja auch allerhand an: Knatsch mit Vater und Bruder, Rassismus im Palast, Entjungferung auf dem Gemüseacker. Das sind die Storys, auf die wir gewartet haben. Thank you, Harry!

Doch soll es bei diesem einen Buch bleiben? Band 2 wird wohl angedacht, dieser Prinz ist ein wahres Konjunkturprogramm für die Buchbranche. Auch die Gattin will zur Feder greifen, ich warte nur noch auf das Buch vom Chauffeur. Nicht am Familientisch im Palast wird die Fehde ausgetragen, das Schlachtfeld findet statt zwischen zwei Buchdeckeln.

Ich schreibe ein Buch – das ist sicherlich die stärkste Drohung, mit der sich heutzutage ein Gegner in Angst und Schrecken versetzen lässt. Früher wurde bei Dramen solcher Art ein Handschuh hingeschmissen und zum Duell im Morgengrauen gerufen, heute schlägt man sich nicht den Degen um die Ohren, sondern die Folianten. Und der Kontrahent, der früher schrie „Ich rufe meinen Anwalt an!“, kontert neuerdings: „Sie hören von meinem Verleger!“.

Jubel auch in den Lektoraten der Verlage. Adieu mit der Hafermilch-Diät, vorbei die Zeit der Baumstamm-Kuschler und der listigen Steuerfüchse. Nein, jetzt kommen die Nichts-als-die-Wahrheit-Themen. Warum noch die Feuilletons der ZEIT studieren, wozu sich noch durch die Fachmagazine wälzen? Nein, ein Blick in die BILD Zeitung und schon haben Lektoren ihre zukünftigen Seller-Kandidaten.

Wer eine Biografie schreibt, der springt hinein in eine bunte Welt. Jeder Gutgläubige sollte dreimal überlegen, ob er sich in einem solchen Kosmos wohlfühlen kann. Wer ein grundehrliches Leben als Biografie festhalten möchte, der wird es schwer haben, neben Oma und Opa noch andere Käufer aufzutreiben.

Dazu kommt: Die Biografie ist die vielleicht schwierigste aller literarischen Gattungsformen. Ein inhaltliches und stilistisches Minenfeld. Der Blickwinkel darf nicht zu nah und nicht zu weit eingestellt sein. Der Inhalt sollte nicht zu viel und auch nicht zu wenig ausplaudern. Der Stil nicht zu abgehoben sein, aber auch nicht zu populär. Fallstricke an allen Ecken und Ende. Wer chronologisch erzählt, wirkt fade. Wer zeitlich zu viel springt, kann ins Chaos fallen. Es bleibt eine einzige Gratwanderung.

Das Schreiben einer Biografie gilt als die Königsdisziplin innerhalb der Autorenschaft. In Deutschland gibt es nur fünf, sechs Autorinnen und Autoren, die wirklich gute Biografien verfassen können. Als kreuzbraver Durchschnittsmensch steht man früher oder später da wie der Ochs vor Scheunentor. Ohne hochprofessionelle Hilfe geht hier nichts. Meist wird ein Ghostwriter gebraucht.

Wenn das Mitteilungsbedürfnis hoch, die schreiberische Sachkunde jedoch niedrig ausfällt, dann braucht es externen Beistand. Auch mit einem Ghostwriter bleibt es bei der Biografie von Herrn oder Frau Unbekannt schwierig. Das schöne Buch ist irgendwann da, aber mit – ich will höflich bleiben – durchwachsenem Erfolg im Verkauf. Erstaunte Gesichter. Dabei hätte ein Blick in die Sellerlisten genügt. 

Die Vorlieben des Publikums liegen woanders: Der Leser möchte Streit und Zank, Bloßstellung und die unteren Schubladen. Es muss scheppern und knallen heutzutage in den Biografien. Ein guter Mensch, ein gutes Leben, ein guter Charakter. Für ein Buch? Ach, wie langweilig! 

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