Ein launiger Blick hinter die Kulissen. Von Wolfgang Stock, Ex-Cheflektor ECON-Verlag und BuchMarkt-Kolumnist. Foto: Daniel Biskup.

Selten habe ich Autoren erlebt, die mit dem Marketing für ihre Bücher zufrieden gewesen sind. Da spielen enttäuschte Hoffnungen die Hauptrolle. Das Werk ist unter viel Schweiß geschrieben worden, Autor und Lektor sind von der Qualität überzeugt, aber in den Regalen des Handels liegt das fertige Buch wie Blei. Der Schuldige ist schnell zur Hand: das Marketing.

Dabei hegen viele Autoren eine – ich sage es höflich – romantische Vorstellung von Marketing. Es wird geträumt von einer Seite im SPIEGEL, einer großen Anzeige in der ZEIT, am liebsten gar ein TV-Spot vor der Tagesschau wie bei Dirk Rossmann. Doch so läuft Bücher-Marketing nicht. Und man sollte auch nicht glauben, in den Werbeabteilungen der Verlage säßen lauter Luschen, die von morgens bis abends Däumchen drehen.

Das Gegenteil ist richtig: Im Marketing der Verlage sitzen Kollegen und Kolleginnen, die das Metier von der Pike auf studiert haben und aus ihrem Arbeitsalltag genau wissen, was funktioniert und was nicht. So weiß selbst ich als Programmplaner aus schmerzlicher Erfahrung: Radiospots verpuffen, Anzeigen in großen Zeitungen bleiben flüchtig, TV im Kosten/Nutzen-Verhältnis jenseits von Gut und Böse.

Richtig gutes Verlagsmarketing in Deutschland sind hauptsächlich Handelsmarketing und Maßnahmen am PoS (Point of Sale). Also alle Werbe- und Verkaufsaktivitäten dort, wo die potentiellen Käufer zu finden ist. In den Buchhandlungen. Und Deutschland kann mit Stolz darauf verweisen, mit die beste Buchhandels-Infrastruktur weltweit zu besitzen. Quantitativ und qualitativ. Wenn Sie es nicht glauben, dann suchen Sie mal in San Francisco eine Buchhandlung.

Handelsmarketing funktioniert beim Buch nachweislich. Die 5.000 Buchhandlungen in Deutschland kennen ihre Kunden, ihre Wünsche und können verkaufen. Sie sind der Transmissionsriemen. Ohne den Handel einen Bestseller zu bauen, schwierig bis unmöglich. Dies wissen natürlich auch die Buchhändler und lassen sich ihre Dienste gut bezahlen. Was für einen Außenstehenden wie die Nettigkeit eines Buchhändlers aussieht, ist meist eine vom Verlag bezahlte Verkaufsmaßnahme.

Ein Schaufenster mit der Buchpräsentation (muss bezahlt werden), ein Verkaufstisch, über den man in der Buchhandlung stolpert (bezahlt), Stapel-Präsentation (bezahlt), Auslage direkt neben der Kasse (heftig bezahlt). In den Buchhandlungen – jedenfalls in denen, wo die Musik spielt – regieren schon seit Jahren knallharte Betriebswirte, die sich wenig um Inhalte und Schöngeistiges scheren. Vielmehr geraten sie in helle Verzückung, wenn sie anhand ihrer Excel-Tabellen für jede Ecke den Umsatz pro Quadratmeter berechnen dürfen.

Man verstehe mich nicht falsch. Ich sage nicht, das ist schlecht oder gut. Es ist halt so. Und es funktioniert in der Regel. Für einen Autor ist diese Art von Marketing leider nicht sichtbar – und sexy ist sie gerade auch nicht. Denn eine Seite im SPIEGEL kann man bei der Familienfeier zufällig auf dem Wohnzimmertisch aufgeschlagen lassen, während ein Verkaufsposter in einer Buchhandlung am anderen Ende Deutschlands keinen vom Hocker reißt.

Damit der Buchhändler sich für einen Titel voll ins Zeug legt, muss ein Verlag ordentlich vorlegen. Die Aktionen – koordiniert vom Verlagsvertreter und dem Key Account – werden unterstützt von Displays, Verkaufs-Boxen, Verkaufsmöbeln, Leseproben, Plakaten. Zusätzlich erhält der Händler neben dem üblichen Rabatt reichlich 12/10 Partien-Stücke (der Verlag liefert 12 Exemplare, nur 10 werden der Buchhandlung berechnet). Wenn der Händler gut verhandelt, dann kriegt er auch noch einen WKZ, einen sogenannten Werbekostenzuschuss, vulgo: Kohle. 

Das alles geht kräftig ins Geld. Deshalb können nur Groß- und solvente Mittelverlage sich solch ein Marketing-Feuerwerk leisten. Kleinverlage geraten ins Hintertreffen. Doch selbst bei den Großverlagen kommen die kostspieligen Handelsaktionen bei weitem nicht jeder Neuerscheinung zuteil. Nur ganz wenige Bücher, die im Vornherein als Spitzentitel auserkoren wurden, dürfen sich darüber freuen. Oder Titel, hier liegt die Chance der Newcomer, die vom Handel in unerwartet hohen Stückzahlen vorbestellt werden. 

Etwa 10 Prozent seiner Gesamterlöse kann ein gesunder Verlag für Marketing kalkulatorisch ausgeben. Das ist für solch eine kleinteilige Branche wenig, prozentual und absolut. Bei solch schmalen Budgets bleibt als einziger Ausweg: Fokussierung. Am effektivsten ist das Geld im Handelsmarketing und bei den Spitzentiteln angelegt. Das klingt bitter für das Gros der Autoren, aber eine bessere Lösung ist bisher niemandem eingefallen.

Die Bewerbung aller Neuerscheinungen geht bei diesen begrenzten Mitteln ebenso wenig, wie alle Absatzkanäle zu berücksichtigen. Auch wenn all die Handels-Maßnahmen nicht so sichtbar sind, wie bei den großen Branchen, wo das Werbebudget auch ins Publikumsmarketing fließt. Doch Publikumsmarketing, zum Beispiel im TV, kann für nischige Produkte nie zielgenau sein und verzeichnet einen zu großen Streuverlust. Im Handel, wo sich die Interessenten tummeln, ist das Geld rentabler und nachhaltiger eingesetzt.

Doch selbst wenn die Marketing-Maßnahmen im Handel greifen, einen Bestseller hat man dann noch lange nicht. Da muss erst eine Kettenreaktion ausgelöst werden. Momentum erzeugen durch gute Rezensionen in Zeitungen und Zeitschriften, durch einen kleinen Bericht auf arte, fünf Sterne bei Amazon, durch effektive Mund-zu-Mund-Propaganda. Das alles – und einiges mehr – muss dazu kommen.

Wenn all diese Impulse in Gang gesetzt werden und sich in einer Dynamik verselbstständigen, wenn zudem Thema und Autor ins Herz treffen, dann läuft es in Richtung Bestseller. Kommt bei 80.000 Neuerscheinungen pro Jahr selten genug vor. Wenn hingegen das Buch im Sortiment liegen bleibt und vom Buchhändler nach drei Monaten remittiert werden muss, dann ist das kein Bestseller. Wahrscheinlich zu Recht.

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