Die launige Meinungs-Kolumne.
Gerne zugespitzt. Nicht die Wirklichkeit. Meine Wirklichkeit. Von Wolfgang Stock, Ex-Cheflektor ECON Verlag.
Foto: Daniel Biskup.

Manchmal, bei Verhandlungen über Kooperationen, habe ich meine Gesprächspartner von der anderen Seite mit einer scheinbar seltsamen Frage überfallen: Wo liegt Ihr Engpass? Selbst leitende Verlagsmanager schauten mich daraufhin verdutzt an, als käme ich von einem anderen Stern.

Mir ist das Engpass-Denken im Buch- und Zeitschriftenbereich immer wichtig gewesen. Zum Beispiel bei Akquisitionen, Kooperationen und Partnerschaften. Eine Engpass-Analyse ist für mich immer ein wichtiger Gradmesser gewesen für die Sinnhaftigkeit einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit.

Ideal ist, wenn der Partner den Engpass des anderen Partners beheben kann. Strategische Kooperation umschreibt man dies. Wenn ein Partner die gleichen Stärken, und vor allem die gleichen Schwächen wie der Kooperationspartner besitzt, macht eine Zusammenarbeit eigentlich wenig Sinn.

Das Engpass-Denken hat in Deutschland ein Berliner Betriebswirt populär gemacht. Wolfgang Mewes hieß der Mann. Im Juli 1989 haben Hero Kind und ich Wolfgang Mewes in Frankfurt am Main besucht. Mewes empfing uns in seinem schmucklosen Konferenzraum und blieb mir als angenehmer und vor allem ziemlich aktiver Gesprächspartner in Erinnerung.

Wolfgang Mewes, ein Herr im besten Alter, ist der Erfinder der EKS gewesen, der Engpass Konzentrierten Strategie. Die EKS als praxisnahe Strategielehre umwallte im Deutschland der 1970er und 1980er Jahre eine legendäre Fama. Wolfgang Mewes hatte seine Theorie Anfang der 1970er Jahre mit Blick auf den Mittelstand entwickelt. Viele deutsche Kleinfirmen haben nach seinen klaren und stringenten Prinzipien gearbeitet.

Eigentlich beschrieb Wolfgang Mewes das Erfolgsgeheimnis der Hidden Champions im deutschen Mittelstand. Der Berliner vom Jahrgang 1924 ist im Jahr 2016 in Wiesbaden verstorben. Sein Werk hat ihn überlebt. Die EKS kommt aus Praxis und ist auf die Praxis zugeschnitten. Mewes hat sich zahlreiche erfolgreiche Unternehmen angeschaut und seine Theorie aus dieser Exzellenz entwickelt.

Dabei arbeitet die EKS-Strategie mit vier erprobten Prinzipien aus der tagtäglichen Praxis:

  • die Besinnung auf eigene Stärke,
  • die Konzentration auf den Engpass,
  • in die Marktnische gehen, spitz statt breit,
  • dort die Marktführerschaft anstreben.

Kurz: Seine Kreativität und Kraft konzentriert zum Nutzen einer engen Zielgruppe einsetzen. 

Und Wolfgang Mewes gewährte uns bei unserem Zusammentreffen eine tour de force zur EKS durch den Meister selbst. Man müsse sich auf seine Stärken konzentrieren, eine Zielgruppe stets spitz definieren, dann den Engpass dieser Zielgruppe herausfinden und schließlich eine Lösung zur Behebung dieses Engpasses entwickeln. Groß im Kleinen. Breite Zielgruppen schienen uns zu amorph und heterogen. Spezialisierung lautet das Zauberwort.

Auch Autoren und Verlage können von der EKS ziemlich viel lernen. Ihre Strategie ist falsch!, so betitelte Mewes die Werbung für seinen Kurs. Auch auf viele Autoren mag dies zutreffen. Manche denken, je mehr ich schreibe, je mehr Bücher ich veröffentliche, desto erfolgreicher werde ich. Ein Viel an Leistung bedeutet jedoch nicht automatisch ein viel an Wirkung. Der Nutzen einer Strategie besteht gerade darin, mit gezieltem (und manchmal weniger) Kräfteeinsatz eine optimale Wirkung zu erzielen. 

Das Fehlen einer Strategie mag noch heute auf viele Verlage und zahlreiche Autoren zutreffen. Ohne Strategie läuft man ziellos durch die Landschaft. Es macht keinen Sinn,  mit einem Allerwelts-Buch in eine Allerwelts-Zielgruppe vorzustoßen. Zuallererst sollte man sich deshalb Gedanken über seine Zielgruppe machen. Wer ist sie? Wo finde ich sie? Welche Bedürfnisse zeichnet sie aus? Danach sollte man den Engpass dieser Zielgruppe ausmachen. Wo bietet sich die Lücke in dieser Nische?

Oder anders: Wo ist ein Problem, das auf seine Lösung wartet? Auch in einer Branche, die mit Nicht-Materiellem handelt, gibt es Engpässe. Dies gilt auch für die Belletristik. Auf den Leser bezogen kann dieses Problem ein Informationsdefizit sein oder der Ruf nach zeitgemäßer Unterhaltung. Auch die Schaffung einer Community im weitesten Sinne kann ein Engpass sein oder der Autor verschafft marginalisierten Meinungen eine Stimme. Oder eine Problembeseitigung wartet mittels eines Ratgeber-Buches. Man trifft den Nerv, wie der Zahnarzt so schön meint.

Merke: Am Engpass besteht ein Defizit. Der Kunde schreit nach Lösung, weil er den Engpass alleine nicht überwinden kann. Findige Autoren und Verlage bieten hier eine Problembeseitigung an. Kein Wunder, dass am Engpass das meiste Geld verdient wird. Dort, wo kein Engpass besteht, wird auch nichts verdient. Dorthin zu gehen, macht – jedenfalls aus monetärer Sicht – keinen Sinn. Sich um die Lösung des Engpasses zu kümmern, es gibt nichts Schlaueres.

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