Tipps und Infos rund ums Schreiben und Verlegen

Kategorie: Schreiben

Die große Kunst des ‚ersten Satzes‘

Gabriel García Márquez: Chronik eines angekündigten Todes. 1981.

Der erste Satz einer Erzählung ist der schwierigste. Und der letzte Satz der zweitschwierigste. Der ganze Text dazwischen ist eigentlich einfach. Als Autor darf man die Wirkung des ersten Satzes nicht unterschätzen. Wenn der erste Satz nichts taugt, ist das ganze Buch Mist.

Es gibt Schriftsteller, die wahre Meister des ersten Satzes sind. An dem Tag, an dem sie Santiago Nasar töten wollten, stand er um fünf Uhr dreißig morgens auf, um den Dampfer zu erwarten, mit dem der Bischof kam. Der Kolumbianer Gabriel Garcia Márquez. Chronik eines angekündigten Todes. Besser geht es nicht.

Der erste Satz ist mehr als ein erster Satz. Er ist die Geburtsstunde einer Erzählung. Es ist die Visitenkarte eines Romans. So wie eine Person, die zur Tür hereinkommt und Guten Tag wünscht. So wie sie dieses Guten Tag sagt, so wird die Fortsetzung der Beziehung aussehen. Der erste Eindruck entscheidet. Man hat keine zweite Chance auf einen guten ersten Eindruck.

Der erste Satz ist wie der Sprung ins kalte Wasser. Er muss den Leser überraschen, emotional packen und sich den Weg in die Seele bahnen. Ein Eröffnungssatz muss bereits alles offenlegen, darf aber nichts verraten. Er soll ins Thema einführen, aber zugleich neugierig machen. Der erste Satz erzeugt die Stimmung, die dann den Roman durchzieht.

Schauen wir uns mal einen zeitgenössischen Autor an. Juan Moreno. Sein Buch trägt den Titel Glück ist kein Ort. Und sein erster Satz ist folgender: Wie sich zeigen wird, ist Carlos, der keinen Nachnamen hat und vermutlich auch nicht Carlos heißt, genau der richtige Mann, wenn man etwas Unmögliches auf Kuba braucht. Große Klasse, da brauche ich nicht weiterzulesen, der Autor muss mir keine Journalistenpreise vorzeigen. Bei einem solchen Eröffnungssatz weiß ich, dieser Mann kann grandios schreiben.

Der Eröffnungssatz ist der Kern, von dem sich alles abspaltet. Ton, Inhalt, Figuren, Melodie des Buches. Urs Widmer nennt den ersten Satz das Samenkorn der ganzen Geschichte. Länge, Tempo und Stimmung eines Buches muss er enthalten und vorbestimmen. Der erste Satz entscheidet alles. Man kann nach einem schlechten ersten Satz kein gutes Buch schreiben. Die Statik des Fundaments wäre brüchig.

Mit einem Erdbeben anfangen und dann langsam steigern!, gab Filmproduzent Samuel Goldwyn seine Drehbuchautoren vor. Der erste Satz muss wie ein Paukenschlag sein. Wer mit einem lauen Lüftlein anfängt, hat

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New Journalism in altem Land

Der Journalist muss reinspringen ins Geschehen, er muss das Blut spritzen sehen, den Staub riechen und das Geschrei hören können. Der Reporter sollte erzählen und eine Geschichten schreiben. Aber nicht mehr wie der General auf seinem Feldherrnhügel, sondern er sollte hinab laufen ins Getümmel.

Die neue Schule des Journalismus. Der New Journalism geht nah ran, nah wie ein Paparazzo. Das war die Revolution, ausgerufen von jungen Journalisten in den 60er Jahren in den USA.

Das war natürlich nichts für das ehrpusselige Deutschland. Da gab es wenig neuen Journalismus, keine New Journalists von Bedeutung. Keinen wirklichen Star.

Erich Wiedemann hätte sicherlich das Zeug dazu gehabt. Vielleicht hätte er gewollt, aber Der Spiegel nicht. Jörg Fauser und Axel Arens, die wohl grössten Talente, beide zu früh gestorben. Marie Luise Kaltenegger, eine Österreicherin, hat’s gekonnt, ist aber nicht richtig dran geblieben. Jürgen Ploog, der hätte was werden können, wenn er gefördert worden wäre und nicht immer überdrehen würde.

Heute bleibt eigentlich nur einer über. Helge Timmerberg, der ist richtig gut, der kann’s. Auch, weil er sich kompromisslos hinter seine Sache stellt. Als brillanter Stilist überzeugt er obendrein. Eine Stadt-Reportage über Dublin fängt Timmerberg so an: Das Wetter: Beschissen wäre geprahlt. Die Preise: balla-balla. Der Nichtraucherschutz: total durchgeknallt.

Da merkt man bei den ersten Sätzen Leidenschaft, da spürt man Tempo und Humor. Der richtig gute Reporter ist ein streunender Strassenköter und kein parfümierter Pudel. Und Timmerberg gibt den ganz wilden Streuner, einen, der an jeder Ecke schnüffelt.

Nun ist Helge Timmerberg in der Mitte der Gesellschafts angekommen, er schreibt für die BILD am SONNTAG, aus Afrika, was schön und exotisch und ziemlich weit weg ist. Man würde Timmerberg einen Gefallen tun, ihn über sturzlangweilige deutsche Themen schreiben zu lassen, über eine Vorstandssitzung eines Versicherungskonzern meinetwegen, oder über einen Arbeitersportverein in Ostthüringen. Afrika, möchte man sagen, ist einfach. Ob einer wirklich was drauf hat, merkt man bei Ostthüringen. Und Timmerberg hat wirklich eine Menge drauf.

Nach Timmerberg kommt zunächst einmal nichts. Dann vielleicht die heutige Ärmelschoner-Generation der Fichtners, Büschers, Schnibben, Schreps. Dort herrscht allerdings publizistischer Stillstand, denn diese Reporter schreiben seit Jahren genau jenes, was ihr Publikum von ihnen erwartet. Nach dem ersten Satz weiß man, wie es weitergeht, die Perspektive ist immer die gleiche. Inhalte langweilig, Stil gut, aber Timing lau.

Es finden sich in Deutschland nicht solch mutige unideologische Magazine wie in den USA, die den New Journalists eine Plattform eingeräumt haben: The New Yorker, Atlantic Monthly, Esquire oder Rolling Stone. Wahrscheinlich ist der New Journalism in Deutschland auch an der Armseligkeit seiner Magazine gescheitert.

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Es rrrummst im New Journalism

Der New Journalism ist so etwas wie die Kulturrevolution des Schreibens. Subjektivität statt Objektivität, Nähe statt Distanz. Rrrumms statt Analyse. Die neue Reportage hat dann nur noch wenig von der vermeintlichen Sachlichkeit des traditionellen Journalismus.

Diese neue Art des Schreibens wird von der Beat Generation, vor allem von Jack Kerouac, beeinflusst. Der Kerl konnte wunderbare Sätze schreiben, die über eine volle Buchseite liefen und trotzdem fraß ihn das Heroin auf. Aber auch Ernest Hemingway oder Jack London mit ihrem erzählerischen Schreibstil prägen den New Journalism. Und wenn richtig gut geschrieben wird, dann ist diese neue Art der Reportage die Veredelung des Journalismus zur Kunstform.

Die Erzählweise des New Journalism benötigt intensive Recherche, manchmal muss man sich wochenlang an die Fersen einer Person hängen. Auch sollte man genau hinschauen und sehr detailverliebt schreiben. Wenn man dies beherzigt, dann muss der Leser aus den Zeilen den Duft riechen, die Farben sehen und den Rabatz hören können. Eine solche Reportage besitzt dann nicht nur Gefühl und Gespür, sondern auch Tempo und Temperament.

Der Autor darf sich selbst einbringen. Hier das rechte Maß zu finden, ist eines der Qualitätsmerkmale des New Journalism. Manche haben das übertrieben, anderen will es gar nur schwer gelingen, die Erzählperspektive abrupt zu ändern.

Der New Journalism erlebt seine Blütezeit in den 60er und 70er Jahren. Hunter S. Thompson schreibt für den Rolling Stone. Gay Talese und Tom Wolfe für Esquire. Truman Capote und Norman Mailer veröffentlichen eher Bücher.

Und da ist einer wie Michael Herr, wieder für Esquire, der Chronist der Dispatches aus dem Krieg in Vietnam. Wir waren alle in die Sitze der Chinook geschnallt, fünfzig waren wir, und irgendwas, irgend jemand schlug von draußen mit einem kolossalen Hammer drauf.

Gerade Sujets wie Kriege, Gewalt und Unterdrückung schrien nach der spürbaren Emotionalität des New Journalism. Ein Krieg musste nach Blut stinken, nach Angstschweiß und Tränen, nach vollgeschissenen Hosen – und nicht nach distinguierter Poetentinte.

Heute, man muss es so sagen, ist der New Journalism passé. Alle Schauplätze wurden besucht, alle dunklen Ecken sind ausgeleuchtet, jeder Nerv wurde gekitzelt. Und die neue Schreibergeneration kommt bei weitem nicht an die Qualität ihrer Vorbilder heran. Der New Journalism ist, seien wir aus Respekt höflich, der New Journalism ist alt geworden.

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Hunter S. Thompson, unser Bester

Als Jugendlicher habe ich zum ersten Mal eine dieser wilden Reportagen von Hunter S. Thompson gelesen. Wenn ich mich recht entsinne, handelte die Geschichte von Ernest Hemingway und von seinem letzten Wohnort Ketchum in den Bergen Idahos.

Nicht nur das Thema hat mich elektrisiert, sondern auch die Art und Weise, wie dieser junge Autor seine Reportage stilistisch anpackte. Das war mehr als merkwürdig, das war eigenartig und seltsam, das war so ganz anders, als das, was ich bisher von Journalisten gelesen hatte.

Ein Stück von ihm erkannte man nach dem ersten Satz. Stets ignorierte der Mann alle Regeln einer guten Reportage. Mal fing er mit wörtlicher Rede an, mal erzeugte er null Atmosphäre zu Beginn, dann fabulierte er wild drauf los, rotzte seine Meinung zu Papier und zelebrierte mit Leidenschaft seine Wutausbrüche und seine Außenseiterrolle.

Er machte beim Schreiben keinen Hehl aus der Tatsache, dass er nicht nur unter Adrenalin stand, sondern wohl auch unter Alkohol, Acid, Dope und weiß der Teufel was. Er veröffentlichte meist im Rolling Stone, einem Musikmagazin, das das Lebensgefühl einer ganzen Generation ausdrückte.

Hunter S. Thompson und sein Gonzo-Stil waren Woodstock auf der Schreibmaschine, laut, schrill, anti gegen alles, er war ziemlich durchgeknallt. Aber in ihrer subjektiven Radikalität hatten seine Texte etwas, was der ganze Sesselpupser-Journalismus nicht hatte: Nähe und Authentizität.

Die besten Schreiber des romanhaften Erzählens, des New Journalism, kamen aus den USA. Und Hunter S. Thompson, dieser ziemlich irre Typ, war der Star dieser neuen Art zu schreiben. Seine Themen waren aus der Welt dieser neuen Generation, die den Aufstand gegen die alten Werte probte: Er schrieb über die Rockergang der Hell’s Angels, über Las Vegas, über Marlon Brando, über das Kentucky Derby.

Diese Reportage über das Kentucky Derby kommt urkomisch daher. Dabei schreibt Hunter nicht über das eigentliche Rennen, sondern gibt seinen Versuch zum Besten, an Pressekarten zu kommen. Oder er lungert an der Bar herum mit tumben Pferdenarren. Aber durch diese Schilderungen verrät er mehr über das Ereignis, als wenn er das blosse Pferderennen beschreiben würde. Hier zeigt sich: Hunter S. Thompson war wohl der Beste seiner Generation.

In dem Abschiedsbrief an Frau und Sohn, den der Rolling Stone Monate nach seiner Selbsttötung veröffentlichte, schrieb er: No More Games. No More Bombs. No More Walking. No More Fun. No More Swimming. 67. That is 17 years past 50. 17 more than I needed or wanted. Boring. I am always bitchy. No Fun – for anybody. 67. You are getting greedy. Act your old age. Relax – This won’t hurt. Ich bin 67. 17 mehr als 50. Das sind 17 Jahre mehr als ich brauchte und wollte. Das macht keinen Spass – für niemanden. Bleib ruhig, Bursche, es tut nicht weh.

Er schoss. In den Kopf. Am Schreibtisch.

Bei seiner Beerdigung im August 2005 war Hunter S. Thompson wieder ganz der Alte. Er hatte jede Einzelheit der Beisetzung genau geplant und wieder war alles ziemlich schräg: Als Höhepunkt ließ er aus einer riesigen Kanone seine Asche in die Luft von Colorado schießen.

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Frank Sinatra ist erkältet

Frank Sinatra, ein Glas Bourbon Whisky in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand, stand in einer dunklen Ecke der Bar, an seiner Seite zwei scharfe, aber langsam verblühende Blondinen, die darauf warteten, dass er etwas sagte. Er sagte aber nichts…

Mit diesen stimmungsvollen Sätzen beginnt die Reportage Frank Sinatra Has a Cold. Dieses Werk ist ein literarisches Kleinod, eines der besten Stücke Journalismus überhaupt. Nicht nur der damaligen Zeit, nein, wahrscheinlich ist dies die gelungenste Reportage aller Zeiten.

Diese grandiose Literatur hat der New Yorker Journalist und Schriftsteller Gay Talese zu Papier gebracht: Frank Sinatra ist erkältet, so der deutsche Titel.

Im April 1966 erschien Taleses buchlange Story im Magazin Esquire. Beim 70-jährigen Bestehen der Monatszeitschrift 2003 wurde sie als die beste Esquire-Geschichte aller Zeiten ausgezeichnet. Und dies zu recht!

Dabei war die Perspektive der Reportage eher aus der Not geboren. Bekanntlich war Sinatra der schreibenden Zunft nicht gerade in inniger Liebe zu getan und auch diesem Projekt verweigerte er die Unterstützung. So lehnte der Sänger ein Interview ab und mochte auch von einer Begegnung mit dem seltsamen Schreiberling nichts wissen.

Doch statt nun aufzugeben, hängte sich Gay Talese drei Monate an den Sinatra-Tross. Er interviewte Friseusen, die Maniküre, den Busfahrer, Musiker, Sinatras Butler, ja, eigentlich jeden, der nicht schnell genug weglaufen konnte. So entstand schließlich ein beeindruckendes Portrait, das um das Objekt schleicht, wie der hungrige Wolf um das scheue Reh.

Gay Talese, Jahrgang 1932, ist der herausragende Vertreter eines Schreibstils, der New Journalism genannt wird. Talese baut in seine Reportage gerne lange Dialogszenen ein, der Journalist – und somit auch der Leser – steht quasi neben Geschehen. Oder besser: er steht mitten drin. Große Ohren, offene Augen, gute Nase – alles selbstverständlich für den Journalismus. Und die jungen und wilden Schreiber des New Journalism haben dieses Prinzip auf die Spitze getrieben.

Talese, der auch viel für die New York Times schrieb, veränderte mit seinen Reportagen die Perspektive des Schreibens: Bei einem Boxkampf portraitierte er nicht den Boxer, sondern den Mann, der den Gong schlug. Solches Vorgehen besitzt System: Unbeachtete Dinge rücken in den Vordergrund. Das literarische Muster lässt sich leicht durchschauen: Pars pro toto. Das Einzelteil steht für das Gesamtbild.

Die Sinatra-Reportage ist eigentlich kein typisches Talese-Stück. Die Glamour-Welt war nicht sein Ding. Viel lieber beobachtet er Aussenseiter, Verlierer, Verzweifelte, Allerweltstypen. Das sei allemal besser als sich Stars und Sternchen zu nähern, die eh nur eine Maske und viel Fassade vor sich her tragen.

Heute gehört Frank Sinatra Has a Cold zur Pflichtlektüre an guten Journalisten-Schulen. Diese Reportage markiert eine Sternstunde des New Journalism und des Journalismus überhaupt.

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