Tipps und Infos rund ums Schreiben und Verlegen

Autor: Wolfgang Stock

New Journalism in altem Land

Der Journalist muss reinspringen ins Geschehen, er muss das Blut spritzen sehen, den Staub riechen und das Geschrei hören können. Der Reporter sollte erzählen und eine Geschichten schreiben. Aber nicht mehr wie der General auf seinem Feldherrnhügel, sondern er sollte hinab laufen ins Getümmel.

Die neue Schule des Journalismus. Der New Journalism geht nah ran, nah wie ein Paparazzo. Das war die Revolution, ausgerufen von jungen Journalisten in den 60er Jahren in den USA.

Das war natürlich nichts für das ehrpusselige Deutschland. Da gab es wenig neuen Journalismus, keine New Journalists von Bedeutung. Keinen wirklichen Star.

Erich Wiedemann hätte sicherlich das Zeug dazu gehabt. Vielleicht hätte er gewollt, aber Der Spiegel nicht. Jörg Fauser und Axel Arens, die wohl grössten Talente, beide zu früh gestorben. Marie Luise Kaltenegger, eine Österreicherin, hat’s gekonnt, ist aber nicht richtig dran geblieben. Jürgen Ploog, der hätte was werden können, wenn er gefördert worden wäre und nicht immer überdrehen würde.

Heute bleibt eigentlich nur einer über. Helge Timmerberg, der ist richtig gut, der kann’s. Auch, weil er sich kompromisslos hinter seine Sache stellt. Als brillanter Stilist überzeugt er obendrein. Eine Stadt-Reportage über Dublin fängt Timmerberg so an: Das Wetter: Beschissen wäre geprahlt. Die Preise: balla-balla. Der Nichtraucherschutz: total durchgeknallt.

Da merkt man bei den ersten Sätzen Leidenschaft, da spürt man Tempo und Humor. Der richtig gute Reporter ist ein streunender Strassenköter und kein parfümierter Pudel. Und Timmerberg gibt den ganz wilden Streuner, einen, der an jeder Ecke schnüffelt.

Nun ist Helge Timmerberg in der Mitte der Gesellschafts angekommen, er schreibt für die BILD am SONNTAG, aus Afrika, was schön und exotisch und ziemlich weit weg ist. Man würde Timmerberg einen Gefallen tun, ihn über sturzlangweilige deutsche Themen schreiben zu lassen, über eine Vorstandssitzung eines Versicherungskonzern meinetwegen, oder über einen Arbeitersportverein in Ostthüringen. Afrika, möchte man sagen, ist einfach. Ob einer wirklich was drauf hat, merkt man bei Ostthüringen. Und Timmerberg hat wirklich eine Menge drauf.

Nach Timmerberg kommt zunächst einmal nichts. Dann vielleicht die heutige Ärmelschoner-Generation der Fichtners, Büschers, Schnibben, Schreps. Dort herrscht allerdings publizistischer Stillstand, denn diese Reporter schreiben seit Jahren genau jenes, was ihr Publikum von ihnen erwartet. Nach dem ersten Satz weiß man, wie es weitergeht, die Perspektive ist immer die gleiche. Inhalte langweilig, Stil gut, aber Timing lau.

Es finden sich in Deutschland nicht solch mutige unideologische Magazine wie in den USA, die den New Journalists eine Plattform eingeräumt haben: The New Yorker, Atlantic Monthly, Esquire oder Rolling Stone. Wahrscheinlich ist der New Journalism in Deutschland auch an der Armseligkeit seiner Magazine gescheitert.

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Es rrrummst im New Journalism

Der New Journalism ist so etwas wie die Kulturrevolution des Schreibens. Subjektivität statt Objektivität, Nähe statt Distanz. Rrrumms statt Analyse. Die neue Reportage hat dann nur noch wenig von der vermeintlichen Sachlichkeit des traditionellen Journalismus.

Diese neue Art des Schreibens wird von der Beat Generation, vor allem von Jack Kerouac, beeinflusst. Der Kerl konnte wunderbare Sätze schreiben, die über eine volle Buchseite liefen und trotzdem fraß ihn das Heroin auf. Aber auch Ernest Hemingway oder Jack London mit ihrem erzählerischen Schreibstil prägen den New Journalism. Und wenn richtig gut geschrieben wird, dann ist diese neue Art der Reportage die Veredelung des Journalismus zur Kunstform.

Die Erzählweise des New Journalism benötigt intensive Recherche, manchmal muss man sich wochenlang an die Fersen einer Person hängen. Auch sollte man genau hinschauen und sehr detailverliebt schreiben. Wenn man dies beherzigt, dann muss der Leser aus den Zeilen den Duft riechen, die Farben sehen und den Rabatz hören können. Eine solche Reportage besitzt dann nicht nur Gefühl und Gespür, sondern auch Tempo und Temperament.

Der Autor darf sich selbst einbringen. Hier das rechte Maß zu finden, ist eines der Qualitätsmerkmale des New Journalism. Manche haben das übertrieben, anderen will es gar nur schwer gelingen, die Erzählperspektive abrupt zu ändern.

Der New Journalism erlebt seine Blütezeit in den 60er und 70er Jahren. Hunter S. Thompson schreibt für den Rolling Stone. Gay Talese und Tom Wolfe für Esquire. Truman Capote und Norman Mailer veröffentlichen eher Bücher.

Und da ist einer wie Michael Herr, wieder für Esquire, der Chronist der Dispatches aus dem Krieg in Vietnam. Wir waren alle in die Sitze der Chinook geschnallt, fünfzig waren wir, und irgendwas, irgend jemand schlug von draußen mit einem kolossalen Hammer drauf.

Gerade Sujets wie Kriege, Gewalt und Unterdrückung schrien nach der spürbaren Emotionalität des New Journalism. Ein Krieg musste nach Blut stinken, nach Angstschweiß und Tränen, nach vollgeschissenen Hosen – und nicht nach distinguierter Poetentinte.

Heute, man muss es so sagen, ist der New Journalism passé. Alle Schauplätze wurden besucht, alle dunklen Ecken sind ausgeleuchtet, jeder Nerv wurde gekitzelt. Und die neue Schreibergeneration kommt bei weitem nicht an die Qualität ihrer Vorbilder heran. Der New Journalism ist, seien wir aus Respekt höflich, der New Journalism ist alt geworden.

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Hunter S. Thompson, unser Bester

Als Jugendlicher habe ich zum ersten Mal eine dieser wilden Reportagen von Hunter S. Thompson gelesen. Wenn ich mich recht entsinne, handelte die Geschichte von Ernest Hemingway und von seinem letzten Wohnort Ketchum in den Bergen Idahos.

Nicht nur das Thema hat mich elektrisiert, sondern auch die Art und Weise, wie dieser junge Autor seine Reportage stilistisch anpackte. Das war mehr als merkwürdig, das war eigenartig und seltsam, das war so ganz anders, als das, was ich bisher von Journalisten gelesen hatte.

Ein Stück von ihm erkannte man nach dem ersten Satz. Stets ignorierte der Mann alle Regeln einer guten Reportage. Mal fing er mit wörtlicher Rede an, mal erzeugte er null Atmosphäre zu Beginn, dann fabulierte er wild drauf los, rotzte seine Meinung zu Papier und zelebrierte mit Leidenschaft seine Wutausbrüche und seine Außenseiterrolle.

Er machte beim Schreiben keinen Hehl aus der Tatsache, dass er nicht nur unter Adrenalin stand, sondern wohl auch unter Alkohol, Acid, Dope und weiß der Teufel was. Er veröffentlichte meist im Rolling Stone, einem Musikmagazin, das das Lebensgefühl einer ganzen Generation ausdrückte.

Hunter S. Thompson und sein Gonzo-Stil waren Woodstock auf der Schreibmaschine, laut, schrill, anti gegen alles, er war ziemlich durchgeknallt. Aber in ihrer subjektiven Radikalität hatten seine Texte etwas, was der ganze Sesselpupser-Journalismus nicht hatte: Nähe und Authentizität.

Die besten Schreiber des romanhaften Erzählens, des New Journalism, kamen aus den USA. Und Hunter S. Thompson, dieser ziemlich irre Typ, war der Star dieser neuen Art zu schreiben. Seine Themen waren aus der Welt dieser neuen Generation, die den Aufstand gegen die alten Werte probte: Er schrieb über die Rockergang der Hell’s Angels, über Las Vegas, über Marlon Brando, über das Kentucky Derby.

Diese Reportage über das Kentucky Derby kommt urkomisch daher. Dabei schreibt Hunter nicht über das eigentliche Rennen, sondern gibt seinen Versuch zum Besten, an Pressekarten zu kommen. Oder er lungert an der Bar herum mit tumben Pferdenarren. Aber durch diese Schilderungen verrät er mehr über das Ereignis, als wenn er das blosse Pferderennen beschreiben würde. Hier zeigt sich: Hunter S. Thompson war wohl der Beste seiner Generation.

In dem Abschiedsbrief an Frau und Sohn, den der Rolling Stone Monate nach seiner Selbsttötung veröffentlichte, schrieb er: No More Games. No More Bombs. No More Walking. No More Fun. No More Swimming. 67. That is 17 years past 50. 17 more than I needed or wanted. Boring. I am always bitchy. No Fun – for anybody. 67. You are getting greedy. Act your old age. Relax – This won’t hurt. Ich bin 67. 17 mehr als 50. Das sind 17 Jahre mehr als ich brauchte und wollte. Das macht keinen Spass – für niemanden. Bleib ruhig, Bursche, es tut nicht weh.

Er schoss. In den Kopf. Am Schreibtisch.

Bei seiner Beerdigung im August 2005 war Hunter S. Thompson wieder ganz der Alte. Er hatte jede Einzelheit der Beisetzung genau geplant und wieder war alles ziemlich schräg: Als Höhepunkt ließ er aus einer riesigen Kanone seine Asche in die Luft von Colorado schießen.

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Ein Treffen mit Lee Iacocca

Gravenbruch, den 14. September 1989; Foto by Hasso von Bülow

Der Mann wird bewacht wie ein Staatspräsident. Gerade hat mich der breitschultrige Bodyguard prüfenden Blickes gemustert, beiläufig genickt, seine ausgebeulte Achselpartie stramm gezogen und mich kurz durchgewinkt. Etwas unsicher biege ich um die Ecke und gehe auf ihn zu. Der berühmteste Manager der Welt lächelt mich an.

Der US-Amerikaner Lee Iacocca ist nicht zuletzt deshalb einer der bekanntesten Manager, weil er als erster ein Spitzengehalt von über 20 Millionen Dollar eingestrichen hat. Er ist zudem ein begnadeter Verkäufer. Aber mehr als das. Er ist ein sympathischer Entertainer, eine legendäre Führungskraft und ein erfolgreicher Bestsellerautor.

This is Doctor Stock from ECON Publishers, stellt mich sein Referent, der dann von seiner Seite weicht, vor. Nice to meet you, Doctor Stock, strahlt mich der Auto-Manager an. Man merkt, hier redet ein Mensch, der Menschen mag.

Der größte Erfolg von Lido Anthony Iacocca, den alle Welt kurz Lee nennt, beginnt mit einer unerwarteten Niederlage. Henry Ford II hat ihn 1978 als President von FORD rausgeschmissen. Einfach so, ohne Vorwarnung, ohne Grund. Ihn, den erfolgsverwöhnten Lee, der seit den frühen 50er Jahren für FORD gearbeitet hat.

Im Jahr seines Rauswurfs hat Lee Iacocca den Aktionären und der Familie Ford einen Firmengewinn von 2 Milliarden Dollar auf den Tisch gelegt, die Bilanz strahlte wie der Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller Center. Es war verrückt.

Aber vielleicht war Iacocca zu erfolgreich. Lee, hat Henry Ford zu Iacocca gesagt und ihn im Garten vor dem Firmengebäude in Detroit zur Seite genommen, schauen Sie einmal nach oben. Und deutet auf das Dach der Konzernzentrale mit dem wuchtigen FORD-Schriftzug. Welcher Name steht da? Und Lee hat verstanden.

Er geht dann als Chairman zu Chrysler, arbeitet für einen symbolischen Dollar und rettet den maroden Autobauer, der kurz vor der Pleite steht. Bei Chrysler hat er die Marketing-Idee des Jahrzehnts: Er tritt in den TV-Werbespots für den Dodge und den Plymouth persönlich auf. Ähnlich wie der Verkäufer einer Filiale. Die Botschaft ist klar: Iacocca verbürgt sich für dieses Auto, er steht mit seinem guten Namen und seiner Person für diesen Konzern. The pride is back.

Thanks for all your help meint er bei unserem Treffen in Gravenbruch, so als sei ich nicht ein kleiner Lektor, sondern seine wichtigste Stütze. I appreciate your help. Und zum Abschied ruft er mir nach: Best wishes. Und lächelt. Lee ist ein Automanager. Aber noch mehr ein Menschenfischer, einer der besten Menschenfischer überhaupt.

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Frank Sinatra ist erkältet

Frank Sinatra, ein Glas Bourbon Whisky in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand, stand in einer dunklen Ecke der Bar, an seiner Seite zwei scharfe, aber langsam verblühende Blondinen, die darauf warteten, dass er etwas sagte. Er sagte aber nichts…

Mit diesen stimmungsvollen Sätzen beginnt die Reportage Frank Sinatra Has a Cold. Dieses Werk ist ein literarisches Kleinod, eines der besten Stücke Journalismus überhaupt. Nicht nur der damaligen Zeit, nein, wahrscheinlich ist dies die gelungenste Reportage aller Zeiten.

Diese grandiose Literatur hat der New Yorker Journalist und Schriftsteller Gay Talese zu Papier gebracht: Frank Sinatra ist erkältet, so der deutsche Titel.

Im April 1966 erschien Taleses buchlange Story im Magazin Esquire. Beim 70-jährigen Bestehen der Monatszeitschrift 2003 wurde sie als die beste Esquire-Geschichte aller Zeiten ausgezeichnet. Und dies zu recht!

Dabei war die Perspektive der Reportage eher aus der Not geboren. Bekanntlich war Sinatra der schreibenden Zunft nicht gerade in inniger Liebe zu getan und auch diesem Projekt verweigerte er die Unterstützung. So lehnte der Sänger ein Interview ab und mochte auch von einer Begegnung mit dem seltsamen Schreiberling nichts wissen.

Doch statt nun aufzugeben, hängte sich Gay Talese drei Monate an den Sinatra-Tross. Er interviewte Friseusen, die Maniküre, den Busfahrer, Musiker, Sinatras Butler, ja, eigentlich jeden, der nicht schnell genug weglaufen konnte. So entstand schließlich ein beeindruckendes Portrait, das um das Objekt schleicht, wie der hungrige Wolf um das scheue Reh.

Gay Talese, Jahrgang 1932, ist der herausragende Vertreter eines Schreibstils, der New Journalism genannt wird. Talese baut in seine Reportage gerne lange Dialogszenen ein, der Journalist – und somit auch der Leser – steht quasi neben Geschehen. Oder besser: er steht mitten drin. Große Ohren, offene Augen, gute Nase – alles selbstverständlich für den Journalismus. Und die jungen und wilden Schreiber des New Journalism haben dieses Prinzip auf die Spitze getrieben.

Talese, der auch viel für die New York Times schrieb, veränderte mit seinen Reportagen die Perspektive des Schreibens: Bei einem Boxkampf portraitierte er nicht den Boxer, sondern den Mann, der den Gong schlug. Solches Vorgehen besitzt System: Unbeachtete Dinge rücken in den Vordergrund. Das literarische Muster lässt sich leicht durchschauen: Pars pro toto. Das Einzelteil steht für das Gesamtbild.

Die Sinatra-Reportage ist eigentlich kein typisches Talese-Stück. Die Glamour-Welt war nicht sein Ding. Viel lieber beobachtet er Aussenseiter, Verlierer, Verzweifelte, Allerweltstypen. Das sei allemal besser als sich Stars und Sternchen zu nähern, die eh nur eine Maske und viel Fassade vor sich her tragen.

Heute gehört Frank Sinatra Has a Cold zur Pflichtlektüre an guten Journalisten-Schulen. Diese Reportage markiert eine Sternstunde des New Journalism und des Journalismus überhaupt.

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Ein Treffen mit Peter Drucker

Peter Drucker

mit Peter F. Drucker, in Frankfurt am Main, am 7. Juni 1990.

Der Management-Professor nimmt mich freundschaftlich am Arm. Nennen Sie mich Peter, meint Peter F. Drucker bei unserem ersten persönlichen Zusammentreffen 1990 ganz amerikanisch. Ich zögere. Peter, nein, das will mir nicht über die Lippen, selbst wenn mein Verstand es will. Ich kann diesen Mann, der fast fünf Jahrzehnte älter ist als ich, nicht mit dem Vornamen anreden. Peter, das geht einfach nicht.

Ich bleibe zeitlebens beim Professor Drucker. Dabei sind es nicht die Jahre, die zwischen uns liegen, das ist es nicht. Es ist einfach die Statur, die Lebensleistung und auch die Ehrfurcht. Peter Ferdinand Drucker ist der geistige Vater des modernen Managements, der Lehrmeister eines jeden, der gestern und heute in der Wirtschaft Verantwortung trägt.

Die Generation, die in den 1960er und 1970er Jahren an der Universität war, die hat ihn im Studium gelesen. Und auch jene, die nicht studieren konnten, haben seine Bücher verschlungen, weil er sehr klar und verständlich zu schreiben vermochte. Das Führungscredo des Management by Objectives machte den gebürtigen Wiener Peter Drucker unsterblich. Das war damals, wir sprechen vom Jahre 1954, revolutionär und ist heute Allgemeingut.

Führen durch Zielvereinbarungen. Peter Drucker hat MbO als praxistaugliches Rüstzeug entworfen. Wir müssen uns nur in die 1950er Jahre zurück versetzen. Damals regierte in den Unternehmen Befehl und Gehorsam, Betriebe wurden meist wie Militärkompanien geführt oder bestenfalls von einem Patriarchen dominiert. Management by Objectives gewährte nun erstmalig Entfaltungsmöglichkeit und Freiraum für eigene Ideen.

In seinen gut fünfzig Büchern, fast jedes Jahr hat er eines geschrieben und veröffentlicht, brachte der gebürtige Wiener und Exil-Amerikaner einer sich schnell wandelnden Wirtschaft das moderne Management nahe. Drucker hat all das aufgeschrieben, was er in den USA und in Japan beobachtete, er hat dies mit einem profundem historischen Verständnis und einer umfassenden philosophischen Kenntnis zu einer stimmigen Anleitung für die Praxis entwickelt.

Er war mehr Wirtschafts-Historiker denn Management-Guru. Er hat alle wichtigen Themen früh, manchmal als erster, angesprochen. Dezentrales Management, Qualitätsmanagement, technologische Erneuerung, Prozessmanagement, nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften, Personalführung, Non-Profit-Management – alles Peter Drucker.

Dieser Mann war so zeitlos klug, man kann auch sagen, weise. Companies don’t make money, companies make shoes. Besser als Peter Drucker kann man es nicht auf den Punkt bringen, und in diesem Bonmot zeigt sich wie aktuell Drucker heute noch ist. Der Gewinn ist für einen guten Unternehmer nicht das Ziel, sondern eine Folge der Zielerreichung.

Für die Wirtschaft und das Management bleibt Peter Drucker der Größte. Er setzt den Maßstab. Mehr geht nicht. Von allen Autoren, die ich hatte, verehre ich Peter Drucker am meisten. Noch heute kriege ich eine Gänsehaut, wenn ich an unsere Begegnungen denke, vor lauter Hochachtung. Hochachtung vor einem Jahrhundertdenker. Er ist der größte. Einen klügeren habe ich bisher nicht getroffen. Ein großer Denker, der als bescheidener und sympathischer Mensch in Erinnerung bleibt.

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Ein Treffen mit Klaus Voormann

Tutzing, im Februar 2008

Klaus Voormann nippt sorgsam an seiner Tasse mit grünem Tee und blickt auf den See. Eine bemerkenswerte Anmut zeigt der Starnberger See im Februar, wenn am späten Nachmittag die kahle und karge Landschaft von der untergehenden Sonne vergoldet wird.

Er wird in zwei Monaten 70, im Kopf fühlt er sich aber immer noch wie 25. Der hagere Mann mit den wehenden weißen Haaren hat Pop-Geschichte geschrieben, denn kein Deutscher ist den Beatles so nahe gekommen wie er.

Im Sommer 1971 spielte Klaus Voormann den Bass bei einem der schönsten Pop-Songs aller Zeiten: Imagine. Da war er zusammen mit John Lennon im Studio.

Die Freundschaft von Klaus Voormann mit der größten Pop-Gruppe aller Zeiten begann in Hamburg, im Oktober 1960. Unweit der Reeperbahn hörte der gebürtige Berliner aus dem Kaiserkeller die Musik einer jungen Band, die ihn faszinierte. John, Paul, George, Stuart (Sutcliffe) und Pete (Best) hießen die Jungs aus Liverpool – als Beatles sollten sie in den nächsten Jahren die Musik revolutionieren. Klaus zeigte John Lennon einige Cover-Illustrationen, die er gezeichnet hatte. Sie gefielen John. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft mit den Fab Four.

Klaus ging später nach London, wohnte bei George und Ringo, der Pete Best in der Band ersetzte. Von 1966 bis 1969 war er dann Bassist in der Manfred Mann Band, ab 1969 holte ihn John Lennon als Gründungsmitglied seiner Plastic Ono Band. Später spielte Klaus Voormann noch bei George Harrison und auch beim legendären Concert for Bangladesh im Madison Square Garden am 1. August 1971 war er dabei.

Was macht die Beatles aus? Klaus Voormann zögert keinen Augenblick. Der gegensätzliche Charakter der Bandmitglieder. Da war der extrovertierte Paul, der intellektuelle John, George, der die Sprache der einfachen Leute sprach. Und noch eines: Die Beatles waren offen und innovativ. Sie nahmen neue Einflüsse auf: indische Musik, neue Instrumente, andere Klangformen. Während die meisten Bands jene Musik spielten, die von ihren Hörern erwartet wurde, zogen die Beatles ihr Ding durch.

Worauf er besonders stolz ist? Das hochgelobte Cover zur Beatles-Platte Revolver. Da ist er, Klaus Voormann, der Künstler und Grafiker. Er malt und zeichnet immer noch viel, mit seinem für ihn typischen Strich. Er hat gerade von den Liverpooler Stadtoberen den Auftrag über ein neues Werk für das dortige Museum erhalten. Auf seiner Homepage www.voormann.com kann man die Vielfalt seiner Arbeit bestaunen.

Was ist der schönste Beatles-Song aller Zeiten, frage ich ihn zum Abschied. Er zögert. Da kann man keinen hervorheben, meint Klaus, wo solle er da denn anfangen? Es sind einfach zu viele Meisterstücke. Strawberry Fields Forever, vielleicht, oder Fool on the Hill, nein, nein, es kann da keinen Favoriten geben. Einfach alles zu schön. Wunderschön.

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Ein Besuch bei Johannes Gross

Johannes Gross

mit Johannes Gross in Köln, den 3. Dezember 1993;  Foto by Hasso von Bülow

Johannes Gross, dies sollte man als Autor eigentlich nicht zu laut sagen, ist schreiberisch ein Vorbild. Eigentlich sollte man solch einen Satz schnell wieder vergessen, denn man legt die Latte für Eigenes viel zu hoch. Man kann noch so viel trainieren, man wird die Latte stets reißen.

Der kleine Westerwälder mit der Denkerstirn war ein Mann, der einen unglaublichen sprachlichen Reichtum besaß und einige andere Eigenschaften, auf die man als Journalist stolz sein darf: Er war unabhängig, er hatte keine Furcht vor den Mächtigen, er war hellwach, witzig auf die intelligente Art, er hatte Esprit.

Johannes Gross muß als ein homme de lettres umschrieben werden, er beherrschte die feine politische Ironie ebenso wie den philosophischen Diskurs, er war stilsicher, hochbelesen, und er war – heute würde man sagen – politisch inkorrekt.

Er schrieb Sentenzen mit Biss, hintersinnige Aperçus, Bonmots mit Esprit. Er veröffentlichte seine wöchentlichen Tagebuchnotizen im FAZ-Magazin und jedes Mal waren seine Anmerkungen ein Schmaus für alle Hirnzellen, die das Arbeiten noch nicht aufgegeben hatten. Johannes Gross erreichte eine stilistische Fertigkeit, die in seinen Tagen sonst niemand erreichte. Seine Anmerkungen fielen so herrlich aus dem Zeitgeist heraus, und es war diese störrische Unangepassheit, dieses arrogante Besserwissen, das für Lesefreude sorgte.

Protest ist heute eine der bemerkenswertesten Formen der Anpassung. Das ist so ein überlegener Johannes-Gross-Satz aus seinen Tagebüchern. Touché. Ein Stich im Luftpolster des aufgeplusterten Zeitgeistes. Dampfplauderer, Schablonendenker, Flachwasserschwimmer – all sie bekammen von Johannes Gross ein gepfeffertes Bonmot entgegen geschleudert.

Vielen galt er als eitler Pfau. Vielleicht war er das, aber es war nur der eine Teil von ihm. Das war eher sein Panzer. Arroganz, so hätte er wohl formuliert, ist der Schutz vor dem Mittelmäßigen. Und eigentlich war es ja auch keine Arroganz, es war Überlegenheit.

Der andere Teil von Johannes Gross kam zu vorschein, wenn man sein Interesse geweckt hatte. Dann wurde der öffentlich zelebrierte Zynismus plötzlich abgelöst von intellektueller Neugier. Da zeigte er sich wißbegierig, als ein aufmerksamer Zuhörer, als Anekdotensammler.

Darüber hinaus blieb er in seinen privaten Momenten ein ganz normaler Mensch: Er mochte seine Familie, die gepflegte Konversation, gutes Essen, er trank gerne einen Rotwein, er tanzte, er liebte Frankreich, er wußte das Leben zu genießen.

Im September 1999 ist er in Köln gestorben. Ein solcher Mensch fehlt uns heute. Kein Publizist vermochte in seine Fußstapfen zu treten. Die Fußstapfen sind einfach zu groß. Viel zu groß!

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Ein Besuch bei Günter Wallraff

Günter Wallraff, Wolfgang Stock; Bergisches Land, den 5. Juni 1979

Unter konspirativen Umständen, man kann es nicht anders sagen, kam ich zu Günter Wallraff. Denn Wallraff musste für ein paar Wochen von der Bildfläche verschwinden.

Ich traf Günter Wallraff im Sommer 1979. Er hatte über drei Monate unerkannt in der BILD-Lokalredaktion in Hannover gearbeitet und enthüllt, mit welchen Methoden Deutschlands führende Zeitung zu arbeiten pflegt. Sein Buch Der Aufmacher – Der Mann, der bei ‘Bild’ Hans Esser war erklomm rasch die Bestsellerlisten und wurde heftig diskutiert.

Neben reichlich Lob und Bewunderung über diesen Scoop hagelte es Widerspruch, Klagen, Drohungen und Wallraff zog sich für einige Tage in das Haus eines Freundes zurück, weit ab der Großstadt und der medialen Aufmerksamkeit.

Seine Assistentin lotste uns per Telefon wie in einem Krininalfilm zu seinem geheimen Refugium. “Fahren Sie nach Bergisch-Gladbach, dann Richtung Kleinkleckersdorf, auf halbem Weg sehen Sie eine hohe Eiche, biegen Sie dort in den Waldweg…” Und so weiter, und so fort. Man kam sich vor, wie in einem Thriller von John le Carré. Wir waren, zumindest für einen Tag, Teil des System Günter Wallraff geworden.

In dem Sommerhaus im Bergischen empfing uns Wallraff freundlich, neugierig und doch stets auf der Hut. Er war eigentlich immer auf der Lauer, und manchmal wusste man nicht so recht, ob man nun Günter Wallraff oder doch Hans Esser vor sich hatte.

Ich mag Wallraffs subjektive Annäherung an das Schreiben. Das hat eine lange Tradition, denn schon Upton Sinclair hatte 1905 mit The Jungle einen inkognito recherchierten Roman veröffentlicht, der die Zustände in den Schlachthäusern von Chicago anprangerte. Muckraker, nennen die Amerikaner diese Form des Journalismus verächtlich, Schmutzwühler, Nestbeschmutzer. Bisweilen hört es sich wie eine Auszeichnung an.

Und Muckraker Wallraff enthüllte Mißstände wie kein anderer: Er war der Türke Ali bei Thyssen und – mein Liebling – er deckte Putschpläne und Waffenschiebereien des sinistren früheren portugiesischen Staatspräsidenten General António de Spinola auf. Manchmal vernahm man eine übermütige Spöttelei in seiner Recherche. Beispielsweise, wenn er sich bei Gerling auf den Chefschreibtisch breit machte.

In der schwedischen Sprache hat sich der Begriff wallraffa eingebürgert, das Verb bezeichnet einen verdeckten Recherchestil. Wallraff hat den Journalismus um eine Dimension bereichert. Überraschend angreifen, unerkannt beobachten, ganz nah rangehen. Das ist zwangsläufig höchst subjektiv und nicht mehr objektiv. So what? Das ist jedenfalls aufregender und spannender als das meiste Zeug, das die Sesselpupser so schreiben.

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Ein Treffen mit Jürgen W. Möllemann

Düsseldorf, im Mai 1992; Photo by Hasso von Bülow

Ein merkwürdiger Mensch, dachte ich, als ich Jürgen Wilhelm Möllemann näher kennen lernte. Auf der Mattscheibe erschien er oft wie ein Dampfplauderer, doch wenn man mit ihm persönlich – auch über Wirtschaft – sprach, so zeigte er sich überaus kenntnisreich.

Nicht erst als Möllemann im Januar 1991 im Kabinett Helmut Kohl zum Wirtschaftsminister ernannt wurde, prasselte viel Spott und Häme auf das Haupt des Freidemokraten. Dünnbrettbohrer, Dilettant, Meister Mümmelmann – dem gelernten Hauptschullehrer wurde einiges an Unflat nachgerufen.

Doch ECON-Verleger Hero Kind und mir gefiel, was Minister Möllemann in den ersten Wochen ordnungspolitisch und an neuen Ideen von sich gab. Deshalb bemühten wir uns, ihn als Buchautor für den Verlag zu gewinnen.

Möllemann hatte den Ruf eines politischen Hallodris, der breiten Öffentlichkeit galt er als Hans Dampf in allen Gassen. Als wir jedoch in der Umgebung des neuen Bundesministers nachfragten, da hörten wir nur Lob. Der neue Minister sei fleißig, er lese Akten, arbeite sich in die Materie ein, er könne zuhören, er sei sachkundig und wirtschaftspolitisch klar im Denken.

In jenen Jahren traf ich Möllemann zwei, dreimal, meist in seinem Bonner Ministerium. Auf mich wirkte er stets sympathisch, offen, engagiert, voller Humor und Selbstironie. Im Mai 1992 kam er zum ECON Zukunftstag auf die Düsseldorfer Messe und hielt vor 500 Managern eine bemerkenswert gute Rede. Anschließend beantwortete er die Fragen des Publikums charmant und gekonnt.

Unser gemeinsames Buchprojekt machte gute Fortschritte. Das Konzept stand, alle Verträge unter Dach und Fach, ein erstklassiger Ghostwriter gefunden, und am Manuskript wurde schon fleißig gearbeitet. Auf allen Seiten waren schon Stunden und Tage in das Buch investiert worden.

Es kam dann, wie so häufig bei Möllemann, eine Affäre in die Quere. Anfang 1993, beim sogenannten Briefbogen-Skandal oder auch Chip-Affäre hatte der Minister auf offiziellem Ministeriums-Papier Empfehlungen für die Einkaufswagen-Chips der Firma seines Vetters getätigt. Das Ganze war mehr eine Eselei denn ein Skandal.

Doch Möllemann gab in den Medien und der Öffentlichkeit natürlich ein gutes Opfer ab. Der Wirtschaftsminister, zu dieser Zeit auch Vizekanzler, trat schließlich zurück. Unser Buchprojekt war gestorben.

Am 5. Juni 2003 ist Möllemann bei Marl-Loemühle in den Tod gesprungen. Während eines Fallschirmsprungs klinkte sich der Hauptschirm aus und Möllemann öffnete den Notschirm nicht. Er prallte ungebremst zu Boden. Rumms. Aus. Ende. Eine andere Affäre. Jürgen W. Möllemann hätte sie auch aussitzen können. Ein merkwürdiger Kerl.

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